19. Oktober 2023
Rudolf Renner zu einem aktuellen Thema:
… und wieder ist Krieg.
Wieder diese aufwühlenden, verzweifelnd, wütend und ratlos machenden Bilder. Bilder von Menschen in Tränen, in Trauer, in Hoffnungslosigkeit. Bilder von Menschen in Hass und Wut, in Ohnmacht und Machtgier.
Wieder ist Krieg! Und wieder im Nahen Osten, in Israel. Und immer wieder dieselben Akteure – Menschen aus den besetzten palästinensischen Gebieten, Menschen aus Israel. Diesmal kamen brutale Angriffe aus dem Gazastreifen, diesmal wurden Menschen in Israel verletzt und getötet, die feierten, zuhause waren, ihren Alltag lebten. Diesmal hier die Opfer, da die Täterinnen und Täter.
Deshalb gilt für mich jetzt: Solidarität mit Israel, Unterstützung der Menschen, die angegriffen wurden, Unterstützung von Jüdinnen und Juden hier bei uns. Ohne Wenn und Aber. Uns als Christinnen und Christen verbindet viel mit diesem Volk; ohne Judentum gäbe es kein Christentum. Die jüdische Tradition ist so reich und vielfältig; sie hat so viel beigetragen zur deutschen Tradition, zur deutschen Geschichte.
Aber gleichzeitig, während ich das schreibe, beschleicht mich ein beklemmendes Gefühl und ich spüre meine Ratlosigkeit. Kann ich das wirklich zu 100 % bejahen – Solidarität mit Israel? So viele Meldungen in den letzten Jahren über eine Besatzungsmacht, die den Menschen in den palästinensischen Gebieten nicht wirklich eine Chance gibt, gut und in Frieden zu leben. So viele Meldungen über Übergriffe. So viele Warnungen aus der internationalen Gemeinschaft, der Staat Israel habe die Menschenrechte zu respektieren. So viele verpasste Chancen, Gespräche zum Frieden anzufangen. So viele Meldungen über eine zutiefst gespaltene Gesellschaft mit einer Regierung, die in Teilen immer mehr in nationalistisches Gedankengut abgleitet.
Darf ich so (be-)urteilen? Steht mir das als Deutscher zu, mit unserer Geschichte? Ich bin nicht direkt verantwortlich für das, was vor 80 Jahren in unserem Land geschah. Aber ich bin dafür verantwortlich, wie jetzt mit unserer Geschichte umgegangen wird. Deshalb bleibe ich dabei, dass es eine besondere Verbindung zwischen Deutschland und Israel gibt. Und dass ich äußerst verantwortungsvoll mit Äußerungen zu diesem Land umzugehen habe.
Aber als Christ habe ich bestimmte Überzeugungen, vielleicht im Moment belächelt, vielleicht im Moment unrealistisch. Dazu gehören Gewaltlosigkeit, dazu gehört die Bereitschaft, in Gesprächen nach Lösungen zu suchen, dazu gehört die Überzeugung, dass jeder Mensch als geliebtes Geschöpf Gottes unveräußerliche Grundrechte hat. Diese werden jetzt verletzt, auf beiden Seiten.
Solidarität mit Israel – ja! Aber dann genauso auch Solidarität mit den Menschen in den palästinensischen Gebieten, die diesem gewaltsamen Konflikt ausgesetzt sind. Und vor allem endlich die ernsthafte Bereitschaft, nach Frieden zu suchen. Das ist mein Wunsch und meine Hoffnung für diese zutiefst geschundene Region.